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  • AutorenbildNatalia Sousa

KI Delta Learning: der kleine Unterschied

Bei einem Wechsel der Umgebung oder der Sensorik müssen neuronale Netze in Fahrzeugen heute immer wieder von Grund auf neu trainiert werden. Das Forschungsprojekt „KI Delta Learning“ will dieses Problem lösen und so den Aufwand erheblich reduzieren.



Stoppschilder sehen in vielen Ländern ähnlich aus – rot, achteckig, mit dem Wort „STOP“ in der Mitte. Allerdings gibt es Ausnahmen: In Japan sind die Schilder dreieckig, in China wird das Wort „STOP“ durch ein Schriftzeichen ersetzt, in Algerien durch eine gehobene Hand. Ortsfremde Fahrer haben mit diesen kleinen Unterschieden kein Problem. Spätestens nach der ersten Kreuzung wissen sie, wie das lokale Stoppschild aussieht. Die Künstliche Intelligenz (KI) in einem autonomen Fahrzeug benötigt hingegen ein komplett neues Training, um den kleinen Unterschied verarbeiten zu können.


Diese immer neuen Lektionen benötigen viel Zeit, verursachen hohe Kosten und bremsen so das autonome Fahren insgesamt aus. Deshalb setzt die Automobilindustrie jetzt zum gemeinsamen Schritt nach vorne an: Im Projekt „KI Delta Learning“ sollen Wege gefunden werden, autonomen Fahrzeugen selektiv etwas Neues beizubringen. Um beim Beispiel zu bleiben: Man will dem Autopiloten in Zukunft nur noch sagen müssen: „Alles bleibt gleich, bis auf das Stoppschild.“


Kooperation von großen Partnern

Wie bedeutend diese Aufgabe ist, zeigt schon die Teilnehmerliste des Großprojektes, das vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird: Partner des Projektes sind neben Porsche Engineering auch BMW, CARIAD und Mercedes-Benz sowie Großzulieferer wie Bosch und neun Hochschulen, darunter die TU München und die Universität Stuttgart. „Es geht darum, den Aufwand zu reduzieren, um von einer Fahrsituation auf eine andere schließen zu können – ohne sie extra zu trainieren“, erklärt Dr. Joachim Schaper, Leiter KI und Big Data bei Porsche Engineering. „Die Kooperation ist nötig, weil derzeit kein Anbieter allein diese Herausforderung bewältigen kann.“ Das Projekt ist Teil der „KI Familie“, einer Leitinitiative des Verbandes der Automobilindustrie, mit der das vernetzte und autonome Fahren vorangebracht werden soll.



Rund 100 Personen bei insgesamt 18 Partnern forschen seit Januar 2020 an „KI Delta Learning“. Es finden Workshops statt, bei denen sich die Experten darüber austauschen, welche Ansätze erfolgversprechend sind – und welche sich als Sackgasse erwiesen haben. „Wir hoffen, am Ende einen Katalog von Methoden liefern zu können, mit denen sich der Wissenstransfer in der Künstlichen Intelligenz ermöglichen lässt“, sagt Mohsen Sefati, Experte für autonomes Fahren bei Mercedes-Benz und Leiter des Projektes.


Tatsächlich verbirgt sich hinter dem Stoppschild-Beispiel eine grundsätzliche Schwäche aller neuronalen Netze, die in autonomen Fahrzeugen das Verkehrsgeschehen interpretieren. Sie ähneln vom Aufbau her dem menschlichen Hirn, unterscheiden sich jedoch in einigen entscheidenden Punkten: So können sich neuronale Netze ihre Fähigkeiten nur auf einmal aneignen, typischerweise in einer einzigen großen Trainings-Session.


Großer Aufwand durch Domänenwechsel

Selbst triviale Veränderungen können in der Entwicklung von Autopiloten großen Aufwand verursachen. Ein Beispiel: In vielen autonomen Testfahrzeugen wurden bisher Kameras mit einer Auflösung von zwei Megapixeln eingebaut. Werden sie jetzt durch bessere Modelle mit acht Megapixeln ersetzt, ändert sich im Prinzip kaum etwas. Ein Baum sieht noch immer wie ein Baum aus, nur dass er durch mehr Pixel repräsentiert wird. Die KI benötigt trotzdem wieder Millionen von Schnappschüssen aus dem Verkehr, um die Objekte in der höheren Auflösung zu erkennen. Das Gleiche gilt, wenn ein Kamera- oder Radarsensor am Fahrzeug nur leicht anders positioniert wird. Danach ist ebenfalls ein komplettes Neutraining angesagt.


Fachleute nennen so etwas einen Domänenwechsel: Statt rechts wird links gefahren, statt strahlendem Sonnenschein tobt ein Schneesturm. Menschlichen Fahrern fällt es in der Regel leicht, sich anzupassen. Sie erkennen intuitiv, was sich ändert, und übertragen ihr Wissen auf die veränderte Situation. Neuronale Netze können das noch nicht. Ein System, das zum Beispiel mit Schönwetterfahrten trainiert wurde, ist bei Regen verwirrt, weil es seine Umwelt aufgrund der Reflexionen nicht mehr erkennt. Das gilt ebenso für unbekannte Wetterbedingungen, für den Wechsel von Links- zu Rechtsverkehr oder für unterschiedliche Ampelformen. Und tauchen im Verkehr gänzlich neue Objekte wie E-Scooter auf, muss der Autopilot damit zunächst vertraut gemacht werden.



Ziel des Projektes: nur das „Delta“ lernen

In all diesen Fällen ist es bislang nicht möglich, dem Algorithmus nur die Veränderung beizubringen, also das, was in der Wissenschaft das „Delta“ genannt wird. Um sich in der neuen Domäne zurechtzufinden, braucht er wieder einen kompletten Datensatz, in dem die Modifikation vorkommt. Es ist, als müsste ein Schüler bei jeder neuen Vokabel das komplette Wörterbuch durcharbeiten.


Diese Art des Lernens verschlingt enorme Ressourcen. „Um einen Autopiloten zu trainieren, sind heute 70.000 Grafikprozessor-Stunden nötig“, erklärt Tobias Kalb, Doktorand und für Porsche Engineering am Projekt „KI Delta Learning“ beteiligt. In der Praxis werden zwar zahlreiche Graphics Processing Units (GPUs) parallel genutzt, um neuronale Netze zu trainieren, dennoch bleibt der Aufwand erheblich. Hinzu kommt, dass ein neuronales Netz kommentierte Bilder braucht, also Aufnahmen aus dem realen Verkehrsgeschehen, in denen wichtige Elemente markiert sind, wie zum Beispiel andere Fahrzeuge, Fahrspurmarkierungen oder Leitplanken. Führt ein Mensch diese Arbeit von Hand durch, dauert es eine Stunde oder mehr, bis eine Momentaufnahme aus dem Stadtverkehr annotiert ist. Jeder Fußgänger, jeder einzelne Zebrastreifen, jedes Baustellenhütchen muss im Bild markiert werden. Dieses sogenannte Labeling lässt sich zwar teilweise automatisieren, dafür werden aber große Rechenkapazitäten gebraucht.


Hinzu kommt, dass ein neuronales Netz mitunter Gelerntes wieder vergisst, wenn es sich an eine neue Domäne anpassen soll. „Es fehlt ein echtes Gedächtnis“, erklärt Kalb. Er selbst hat diesen Effekt erlebt, als er ein KI-Modul verwendete, das mit US-amerikanischen Verkehrsszenen trainiert wurde. Es hatte viele Bilder von leeren Highways und weiten Horizonten gesehen und konnte den Himmel zuverlässig identifizieren. Als Kalb das Modell zusätzlich mit einem deutschen Datensatz trainierte, trat ein Problem auf. Nach dem zweiten Durchlauf bekam das neuronale Netz Schwierigkeiten, den Himmel in den amerikanischen Aufnahmen zu identifizieren. Auf dem deutschen Bildmaterial war es nämlich oft bewölkt oder Gebäude versperrten die Aussicht.


„Bisher wird in solchen Fällen das Modell mit beiden Datensätzen neu trainiert“, erklärt Kalb. Doch das ist aufwendig und stößt irgendwann an Grenzen, etwa wenn die Datensätze zu umfangreich werden, um sie noch abzuspeichern. Kalb fand durch Versuche eine bessere Lösung: „Manchmal reichen sehr repräsenta­tive Bilder aus, um das Wissen aufzufrischen.“ Anstatt dem Modell noch einmal komplett alle amerikanischen und deutschen Straßenszenen zu zeigen, wählte er zum Beispiel ein paar Dutzend Bilder mit besonders typischem Highway­Fernblick aus. Das genügte schon, um den Algorithmus daran zu erinnern, wie der Himmel aussieht.



Zwei KIs bilden sich gegenseitig aus

Genau solche Optimierungsmöglichkeiten sollen im Rahmen von „KI Delta Learning“ gefunden werden. Für insgesamt sechs Anwendungsbereiche suchen die Projektpartner nach Methoden, um die jeweilige KI schnell und einfach weiterzubilden. Dazu gehört unter anderem ein Wechsel in der Sensortechnik oder die Anpassung an unbekannte Wetterverhältnisse. Bewähr­te Lösungen teilen die am Projekt beteiligten Organi­ sationen untereinander.


Ein weiterer vielversprechender Ansatz besteht darin, dass sich zwei Wahrnehmungs­KIs gegenseitig ausbilden. Zunächst wird dafür ein Lehrer­Modell aufgebaut: Es erhält Trainingsdaten, in denen eine Klasse von Ob­ jekten markiert ist, zum Beispiel Schilder. Eine zweite KI, das Schüler­Modell, erhält ebenfalls einen Datensatz, in ihm sind jedoch andere Dinge markiert – Bäu­me, Fahrzeuge, Straßen. Dann beginnt der Unterricht: Das Lehrer­System vermittelt dem Schüler sein Wissen, während er neue Konzepte lernt. Es hilft ihm also dabei, Schilder zu erkennen. Danach wird der Schüler wieder­um zum Lehrer für das nächste System. Diese Methode, „Knowledge Distillation“, könnte den OEMs viel Zeit bei der Lokalisierung ihrer Fahrzeuge ersparen. Soll ein Modell in einem neuen Markt eingeführt werden, muss beim Training des Autopiloten lediglich ein anderes Lehrer­Modell für die regionalen Schilder verwendet werden – alles andere kann gleich bleiben.


"The solution will be a combination of procedures"

Much of what the researchers are currently testing is still experimental. It is not yet possible to foresee which method a neural network can ultimately be best adapted to new domains. “The solution will lie in a clever combination of several processes,” expects the expert Kalb. After a year of project work, those involved are optimistic. "We have made good progress," says project manager Sefati from Mercedes-Benz. He expects to be able to demonstrate the first methods for AI delta learning when the project expires at the end of 2022. That could bring enormous benefits for the entire automotive industry. "There is great potential for savings with a simultaneous increase in quality if the training chain is highly automated," explains AI specialist Schaper. He estimates that the human effort involved in developing autonomous vehicles can be cut in half with AI Delta Learning.





(C) Porsche Engineering - Text and Images - Reissued from Porsche Engineering Magazine.

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