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  • AutorenbildNatalia Sousa

Big Loop: Künstliche Intelligenz und Machine Learning

In den Fahrzeugen der Zukunft werden Systeme im Einsatz sein, die sich permanent selbst verbessern. Porsche Engineering hat dieses Prinzip am Beispiel eines Abstandsregeltempomaten erfolgreich demonstriert. Automatische Feedback-Schleifen sind aber auch für andere Funktionen interessant. Cariad, der Software- und Technologiepartner für die Automobilmarken des Volkswagen Konzerns, treibt die Entwicklung des Big Data Loop intensiv für unterschiedlichste komplexe Anwendungszwecke voran.



Ein Autofahrer lernt ständig dazu und entwickelt im Lauf der Zeit eine Art Intuition. Wer zum Beispiel auf der Überholspur unterwegs ist und sieht, wie ein vorausfahrender PKW auf der rechten Spur langsam nach links zieht, wird automatisch vom Gas gehen – selbst wenn der andere Wagen noch nicht den Blinker gesetzt hat. Denn jeder Fahrer mit Praxis ahnt, dass das andere Auto gleich ausscheren wird.

Wie kann ein autonomes Fahrzeug in gleicher Weise aus Erfahrungen lernen und ebenfalls intuitiv reagieren? Dieser Frage widmete sich Porsche Engineering gemeinsam mit der Porsche AG sowie Cariad, Software- und Technologieunternehmen des VW-Konzerns, im Rahmen eines Proof of Concepts „Big Data Loop“. Die Serienentwicklung im Konzern wird nun bei den Software-Spezialisten von Cariad vorangetrieben. Der Proof of Concept sollte zeigen, wie sich in Zukunft alle Funktionen, die auf Künstlicher Intelligenz (KI) beruhen, kontinuierlich weiterentwickeln lassen. Die Lösung gleicht dabei einem Kreislauf: Daten aus dem Fahrzeug werden drahtlos in die Cloud übermittelt und dort genutzt, um die KI weiter zu trainieren. Danach wird der verbesserte Algorithmus geprüft und wieder zurückgespielt.


Einscheren früher erkennen


Testobjekt im Projekt ist ein Fahrzeug, das mit einem weiterentwickelten Abstandsregeltempomaten „Adaptive Cruise Control“ (ACC) ausgerüstet ist. Das reguläre Serien-Fahrerassistenzsystem beschleunigt beziehungsweise bremst selbstständig und sorgt so dafür, dass immer eine sichere Distanz zum vorausfahrenden Fahrzeug gewahrt bleibt. Dafür muss das ACC frühzeitig erkennen, wenn andere Verkehrsteilnehmer einscheren. Genau dieses Einscherverhalten soll nun mittels KI früher erkannt werden.

Im Testfahrzeug übernimmt daher ein selbst entwickeltes neuronales Netz diese Aufgabe, das mit realen Szenen aus den Testfahrten ständig weitertrainiert wird. So entsteht ein endloser Kreislauf aus Beobachten und Lernen, der die Leistung des ACC stetig verbessert. „Ein wahrscheinlicher Spurwechsel wird eine halbe bis zu einer Sekunde früher erkannt – das entspricht auf der Autobahn 30 Metern Fahrstrecke“, berichtet Dr. Joachim Schaper, Leiter KI und Big Data bei Porsche Engineering.





Jedes moderne Fahrzeug mit Assistenzsystemen produziert enorme Datenmengen (Big Data), unter anderem ausgewertete Kamerasignale oder Informationen von Radarsensoren – es gibt also genügend Material, um ein neuronales Netz zu trainieren. Was auf den ersten Blick als einfache Idee erscheint, erweist sich in der Umsetzung allerdings als echte Herausforderung. „Wir wollen beispielsweise nur diejenigen Daten aufzeichnen, die das System wirklich weiterbringen“, erklärt Projektleiter Philipp Wustmann, Experte für Längs- und Querregelung bei Porsche Engineering. „Das ist keine einfache Aufgabe, denn Radarsensoren und Kameras erzeugen immens viele Daten, von denen die meisten für die betrachtete Funktion nicht relevant sind.“ Die Fahrt auf einer leeren Autobahn bietet zum Beispiel für einen Abstandsregler keine Lernimpulse. Zudem wäre die Auswertung aller Daten viel zu aufwendig.

Darum wählt man gezielt Szenen aus, aus denen die KI etwas lernen kann. Diese Aufgabe übernimmt im Testfahrzeug vom Typ Taycan ein „SceneDetector“: Dieser Algorithmus nutzt die interpretierten Kamerasignale am Fahrzeugbus. Es handelt sich nicht um rohe 2 Videobilder, sondern um Informationen darüber, welche Objekte sich in welcher Entfernung zum Fahrzeug befinden. Der SceneDetector filtert aus dem aktuellen Verkehrsgeschehen jene Szenen heraus, in denen das ACC noch nicht optimal reagiert – etwa wenn der Einscherer zu spät oder falsch erkannt wurde. Zusätzlich ist es technisch möglich, vom Programm so genannte Corner Cases aufzeichnen zu lassen, also Grenzfälle, die im Alltag selten vorkommen. Pendelt zum Beispiel ein vorausfahrendes Fahrzeug in der Spur, ohne sie tatsächlich zu wechseln, könnte der Algorithmus diese Szene markieren. Das Gleiche gilt für eine Situation, 3 in der die Kamera die Spurmarkierungen nicht erfasst. Diese Erkennung bestimmter Szenen übernimmt eine spezielle Software namens „Automated Measurement Data Analytics“ (AMDA).


Vermehrung der Daten per Simulation


Hat der SceneDetector fünf potenziell lehrreiche Einschervorgänge gefunden, überträgt er die dazugehörigen Daten per Mobilfunk an einen Server. In der Cloud wird die Menge an Anschauungsmaterial vergrößert: Dafür speist man die Daten zunächst in eine Simulation ein, die eine Game Engine nutzt, also die gleiche Technologie, mit der auch Computerspiele ihre Bilder erzeugen. Mithilfe des „Porsche Engineering Virtua ADAS Testing Center“ (PEVATeC) lassen sich virtuelle Testfahrten produzieren, bei denen sich die Fahrzeuge im Rechner physikalisch so verhalten wie ihre realen Pendants auf dem Asphalt. Das Ergebnis der Simulation sind Messungen, die denen vom realen Fahrzeugbus entsprechen.


Fallbeispiele


True positive (links): Die Einscher-Erkennung soll korrekt vorhersagen, ob ein anderes Fahrzeug die Spur wechseln wird. Dann kann der Abstandsregeltempomat (ACC) frühzeitig und sanft bremsen.

False positive (rechts): Die Einscher-Erkennung sollte auch erkennen, dass ein Fahrzeug zwar nach rechts pendelt, aber trotzdem nicht einscheren wird. So lassen sich unnötige Bremsmanöver vermeiden.